Die Politik der Schadensmaximierung
Trump setzt für den Wahlkampf auf Xenophobie. Und bringt ein Gesetz zur Verschärfung der US-Einwanderungspolitik zum Absturz.
Von Daniel Binswanger, 10.02.2024
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Es ist beinahe eine Tugend von Donald Trump: Er taucht die Verwerfungen unserer Epoche in unerbittlich grelles Licht. So lange tut er uns diesen «Gefallen» schon, dass man kaum mehr glaubt, noch etwas lernen zu können. Doch dann zeigt sich immer wieder: Er legt noch einen drauf.
Die jüngste Lektion: Trump brachte das Gesetz zum Grenzschutz und zu internationalen Hilfszahlungen zu Fall. Das «Border Deal and Foreign Aid Package» war eine zwischen Republikanern und Demokraten ausgehandelte Vorlage zur Verschärfung des Grenzschutzes, zur offensiveren Bekämpfung der illegalen Einwanderung und für Militärhilfe an die Ukraine und Israel. Nachdem Trump jedoch deklariert hatte, dass «nur ein Verrückter oder ein linksradikaler Demokrat» für das Gesetz stimmen könne, entzogen die Republikaner im Senat diesem die Unterstützung.
Die amerikanische Politik erreicht einen neuen Höhepunkt des Irrsinns. Und nicht nur auf die USA wirft Trumps Agieren ein krudes Schlaglicht. Sondern auch auf Europa und die Schweiz.
Mit dem Absturz der «Border Bill» hat die Migrationsfrage in den USA nun pünktlich zu Beginn des Wahljahrs erneut den alles beherrschenden Platz besetzt. Schon vor acht Jahren, als Trump seinen ersten Präsidentschaftswahlkampf bestritt, war «build the wall» die Hauptbotschaft seiner Propaganda. Schon damals führte Trump einen Migrationswahlkampf.
Gleich nach seinem Amtsantritt erliess er dann den «Muslim Ban», ein Einreiseverbot für Bürgerinnen aus einer Reihe muslimischer Länder, verordnete die gewollt unmenschliche Behandlung von illegalen Einwanderern – Eltern wurden im Fall der Inhaftierung von ihren Kindern getrennt – und begann mit dem Bau von Teilen der versprochenen Grenzmauer zwischen Mexiko und den USA. Die Massnahmen dienten hauptsächlich der Symbolpolitik: Grosse Wirksamkeit entfalteten etwa Trumps erratische Mauerbruchstücke nicht. Doch Migration geht immer. Nun setzt der Ex-Präsident erneut auf diese Karte. Und seine Chancen, damit Wirkung zu erzielen, dürften 2024 noch wesentlich besser sein als 2016.
Das liegt vor allem daran, dass die Zahl der Migrantinnen mit dem Zielland USA auf einem neuen Höchststand ist. In den letzten beiden Jahren wurden an der Grenze zu Mexiko je über 2 Millionen illegale Einwanderer von der Border Patrol abgefangen. Das ist mehr als jemals zuvor seit dem Beginn der Aufzeichnungen. Schon unter Trump zog im Jahr 2019 die Anzahl der Migranten an, bevor dann 2020 die Pandemie die Wanderungsbewegungen verlangsamte. Während Bidens Präsidentschaft jedoch schnellten die Zahlen in die Höhe.
Das dürfte nur in zweiter Linie damit zu tun haben, dass Biden die skandalösesten Anti-Migrations-Massnahmen – insbesondere den «Muslim Ban» und die Trennung von Kindern und Eltern im Fall der Verhaftung – wieder abschaffte. Dass sich immer mehr Menschen auf den Weg machen, um auf welchem Weg auch immer in die USA einzuwandern, hat andere Gründe. Der Krieg in der Ukraine, dem zahlreiche ukrainische und russische Staatsbürgerinnen entfliehen wollten, indem sie über Mexiko in die USA einreisten, trug dazu bei. Hauptsächlich ist der Anstieg jedoch zurückzuführen auf die zunehmende Instabilität verschiedener lateinamerikanischer Länder, etwa Venezuela, aus dem nun immer mehr Menschen fliehen, oder auch Honduras, Guatemala und El Salvador.
Diese Entwicklung bringt es mit sich, dass demokratisch regierte amerikanische Grossstädte wie Denver oder New York mit einem zunehmenden Zustrom von Migrantinnen konfrontiert sind – eine Belastung, die auch Demokraten dazu veranlasst hat, nach Massnahmen auf Bundesebene zu rufen und von Biden mehr Hilfsgelder und eine schnellere Arbeitsmarktintegration der Flüchtlinge zu verlangen. Somit waren die Voraussetzungen für eine parteiübergreifende Zusammenarbeit zur Verschärfung der Migrationspolitik gegeben – umso mehr, als Biden die Rechnung zu machen scheint, dass auch er sich in der Migrationsfrage ein härteres Image zulegen muss.
Ganz offensichtlich kam Biden zum Schluss, eine schärfere Gangart in der Migrationspolitik sei unverzichtbar für seine Wiederwahl. Zu viele politische Interessengruppen werden tangiert durch den Migrationsdruck. Biden nimmt dafür auch in Kauf, dass er einen Teil der hispanischen Community und den progressiven Parteiflügel gegen sich aufbringt.
Die Demokraten liessen sich also auf ein neues Grenzschutzgesetz ein, das Milliardensummen für mehr Grenzbeamte vorsah, abschreckende Massnahmen gegen illegale Einwanderung verschärfte und vor allem die Möglichkeit festschreiben wollte, bei einem sehr starken Anschwellen der Einwanderungsbewegung die Grenzen für längere Perioden völlig abzuriegeln.
In früheren Verhandlungen über Einwanderungsgesetze war es jeweils so, dass generelle Verschärfungsmassnahmen im Gegenzug durch die Besserstellung von bestimmten Kategorien von Migrantinnen kompensiert werden sollten. Zum Beispiel hätte der politische Kampf um die sogenannte Daca-Verordnung beendet werden können, die sogenannte dreamers, also illegale Einwanderer, die im Kindesalter in die USA gekommen sind, vor der Deportation schützt. Diesmal jedoch war alles anders: Das Gegengeschäft zu demokratischen Konzessionen für verschärfte Grenzkontrollen hätte nur die Militärhilfe für die Ukraine sein sollen.
All dies änderte jedoch rein gar nichts daran, dass Trump den Deal verhinderte. Dass er die Bekämpfung der Migration zum Kernanliegen seiner Propaganda gemacht hat, bedeutet bloss: Das «Migrationsproblem» darf auf keinen Fall gelöst werden. Schon gar nicht durch einen überparteilichen Deal. Trump braucht die «Ausländer» als Sündenböcke. Ein einvernehmliches, auch nur halbwegs vernünftiges Management der Migrationspolitik ist das Allerletzte, was der elektoralen Strategie des Rechtspopulismus entgegenkommt.
Als Trump im Jahr 2015 seinen ersten Präsidentschaftswahlkampf lancierte, sagte er bekanntlich über mexikanische Einwanderer: «Sie bringen Drogen. Sie bringen Verbrechen. Sie sind Vergewaltiger.» Im letzten Dezember nun gab er gewissermassen den Auftakt zu seiner Kampagne mit der Aussage, dass Migranten «das Blut unseres Landes vergiften … Sie vergiften psychiatrische Kliniken und Gefängnisse überall auf der Welt, nicht nur in Südamerika … Sie kommen in unser Land von Afrika, Asien, von überall auf der Welt.»
Der Ex-Präsident zeichnet das Bild einer Art Internationale des Abschaums, die die USA überflutet. Die Kernbotschaft des Rechtspopulismus, das bestätigen auch politologische Studien, besteht immer darin, dass «linke Eliten» sich mit solchen «Ausländern» gegen das wahre Volk verschwören.
Deshalb ist das Allerletzte, was Trump jetzt nützen würde, ein überparteilicher Deal zur Migrationsfrage. Und hier wie in allen anderen Politikbereichen gilt: Trump kennt keine falschen Hemmungen.
Normalerweise besteht die Schwäche demokratischer Institutionen darin, dass die politischen Kräfte sich gegenseitig blockieren und am Ende nichts ausrichten. Es sind die berühmten Reformblockaden, die wir auch in der Schweiz bestens kennen. Hier jedoch, so kommentierte die «Financial Times» lakonisch, liegt das Problem nicht darin, dass «nichts ausgerichtet» wird, sondern dass bewusst «Schaden angerichtet» wird.
Eine Politik, die davon lebt, Probleme zu bewirtschaften, muss diese Probleme so gross wie möglich machen.
Wir kennen das auch in Europa, wir kennen das auch in der Schweiz. Warum hat die SVP nicht das Justizdepartement übernommen, um geradezustehen für die Asylpolitik? Sie hat doch einen Wahlkampf fast ausschliesslich zu «Asyl-Chaos» geführt. Warum stellt sie nicht den Aussenminister, um verantwortlich zu sein für die Beziehungen zu Europa? Sie betrachtet Europa doch als die grösste Bedrohung für die Unabhängigkeit des Landes. Es gibt eine Politik, die Verantwortung übernimmt, und es gibt eine Politik, die nach Sündenböcken sucht. Der Migrationsdruck wird weiter zunehmen – nicht nur in den USA, sondern auch in Europa. Das wird die Sündenbock-Strategie tendenziell immer attraktiver machen.
Noch in einer anderen Hinsicht markiert die abgeschossene «Border Bill» einen neuen Höhepunkt des Make-America-great-again-Irrsinns: Trump ist wild entschlossen, die Militärhilfe für die Ukraine zu torpedieren.
Es gibt kaum mehr Zweifel daran, dass Russland für die westlichen Staaten zu einer ernsthaften Bedrohung wird. Dennoch ist der politische Pakt zwischen Teilen der Republikanischen Partei und dem russischen Autokraten unerschütterlich geworden. Dass amerikanische Konservative verbissene kalte Krieger sind: Diese Zeiten sind vorbei. Heute ist es kein Problem mehr, ein vermeintlicher Erznationalist zu sein – und den Westen Putin ausliefern zu wollen.
Auch diese ideologische Mutation manifestiert sich heute in der Schweiz. Unsere Nationalkonservativen haben ebenfalls einen Putin-nahen Flügel. Aktuell gibt das obszöne Propaganda-Interview, das der Maga-nahe Starjournalist Tucker Carlson mit Putin geführt hat, rund um den Globus viel zu reden. Eine viel weniger bedeutende, aber absolut analoge Propaganda-Mission unternahm bekanntlich auch Roger Köppel mit seiner Moskau-Reise. Der heutige Hypernationalismus definiert sich durch dichte Grenzen, nicht nur militärische Stärke. Der Populismus der Xenophobie hat kein Problem mit dem Ausverkauf an den Feind.
Die amerikanischen Demokraten wollten migrationspolitisch auf die Republikaner zugehen – und sind damit gescheitert. Ob es für die Ukraine weitere Militärhilfe geben wird, bleibt in der Schwebe. Mit politischen Kräften, wie Trump sie repräsentiert, sind politische Deals im Grundsatz nicht möglich. Sie widersprechen ihrer Strategie. Wir sollten unsere Lehren daraus ziehen.
Illustration: Alex Solman